Die vierzehn kurzen Geschichten mit Tieren in diesem Buch ermöglichen ideale Lesesituationen für Kinder im Grundschulalter - die abendliche Vorlesegeschichte zur Guten Nacht, die ersten selber zu lesenden Tierabenteuer des Kindes und auch kleine Erzählungen zum gemeinsamen Sprechen in Familie, Schule und Kirchen-Kindergruppe. Sich gemeinsam am Handeln der Tiere freuen und mit ihnen das Abenteuer Leben bestehen, tolle Geschichten ohne erhobenen Zeigefinger, die auch Erwachsene gelegentlich gerne allein in die Hand nehmen.

 

 

 

 

 

 

 

ISBN 978-3-86685-680-6

120 S. - 10,80 Euro

http://www.geest-verlag.de

 

Leseprobe:

 

Das Grummeli 

Wenn Nebel durch das kleine französische Fischerdorf waberte, dann verließ das Grummeli sein Versteck. Das Grummeli war so klein wie eine Faust und so grau wie der Berg, in dem es wohnte.  Eigentlich wurde es nur in der Dunkelheit aktiv, aber bei Nebel wagte es sich auch tagsüber hinaus. Es rankten sich viele Sagen und Legenden um die Grummelis, aber bisher hatte kein Mensch auch nur je eines gesehen, daher gab es auch keinen einzigen Beweis für ihre Existenz. Doch Kinder waren immer wieder fasziniert von diesen Geschichten, die flüsternd von Generation zu Generation weitergegeben wurden und so waren sie sich sicher, dass es sie gab.  Es hieß, dass die Grummelis ständig Unfug trieben, indem sie alles versteckten, was die Menschen dringend benötigten. Wenn die Menschen sich dann ganz verzweifelt auf die Suche machten, lag ein Grummeli auf der Lauer, beobachtete sie aus seinem Versteck heraus und grummelte vor sich hin.

 

In diesem Dorf, das versteckt an einer zerklüfteten Küste Frankreichs lag, gab es tatsächlich seit einiger Zeit wieder ein Grummeli. Nachts, wenn alle Menschen schliefen, dann schlich es sich sogar in die Häuser. Zumeist ging es schnurstracks in die Küche, öffnete die Schränke und naschte an den Speisen.  Und wenn es dabei eine Katze aufschreckte, die friedlich auf der Ofenbank gelegen hatte, dann verzog es sein Gesicht zu einer bösen Grimasse und grummelte heftig, sodass sich die Katze ängstlich hinter dem Ofen versteckte. Von Vorratskammern wurde das Grummeli fast magisch angezogen. Dort gab es immer irgendwelche Leckereien. Lieblingsspeise des Grummelis waren vor allem Schokolade und Chips. 

Erst wenn es ausgiebig genascht hatte, begann es mit seiner Lieblingsbeschäftigung: Es versteckte einzelne Socken, Schuhe, Uhren und alles, was es gerade von den Menschen fand.

In den Spielzimmern der Kinder tobte es sich besonders gern aus. Es warf sämtliche Spielsachen auf den Boden, die vorher noch ordentlich in den Regalen und Spielkisten verstaut waren.  Die Menschen beschuldigten sich am nächsten Morgen immer gegenseitig für das Durcheinander. Den meisten Ärger für das tägliche Chaos aber bekamen die Kinder und die Haustiere. 

Die Kinder waren überzeugt davon, dass ein Grummeli sein Unwesen trieb. Niemand sonst konnte ein solches Durcheinander anrichten. Und so viele Sachen, wie sie vermissten, konnten sie gar nicht verlegt haben. Doch die Erwachsenen waren nicht mehr bereit, an die Existenz eines Grummelis zu glauben. 

So beschlossen einige Kinder, die ständig zu Unrecht beschuldigt wurden, etwas verloren oder verlegt zu haben, in den nächsten Nächten wachzubleiben, um diesen Grummeli-Unhold endlich zu überführen.  Zwei kleinen Mädchen wäre das auch fast gelungen. Sie verteilten an einem Abend Chips auf dem Küchentisch, und als in der Nacht ein lautes Knabbern und Schmatzen zu hören war, liefen sie mit ihren Taschenlampen in die Küche und konnten gerade noch ein eigenartiges Grummeln wahrnehmen.  Doch dem Grummeli gelang es im letzten Moment, sich aus dem Staub zu machen. Noch in derselben Nacht verließ es den Ort auf Nimmerwiedersehen.

Die Kinder und auch viele Erwachsene des Fischerdörfchens glaubten allerdings weiter daran, dass sie ab und zu von einem Grummeli heimgesucht wurden. Denn immer wieder kam es vor, dass Süßigkeiten verschwanden. Und auch Kleider, Schlüssel und andere Dinge fanden sich manchmal an den unmöglichsten Stellen wieder.

So blieb ihnen das Grummeli erhalten, denn jetzt konnten sie immer nachts unbehelligt durch die Wohnung schleichen, um irgendetwas zu naschen. 

Und auch die Kinder nahmen es mit dem Aufräumen am Abend nicht so genau. Hin und wieder hörte man den Satz: „Was soll‘s, das Grummeli hat wieder zugeschlagen!“ Und mir scheint, auch wir haben ab und zu ein Grummeli im Haus …

 

 

Ostfriesland - wo Möwe und Wattwurm "Moin" sagen

Diese Geschichte handelt von einer Silbermöwe, die auf einer ostfriesischen Insel lebt. Sie heißt Fenna van‘t Diek und sitzt zumeist auf einem Poller direkt am Strand, immer bereit, Mensch und Tier vor einer möglichen Sturmflut oder vor anderen Katastrophen zu warnen. Sie neigt zu Übertreibungen, denn bei etwas stärkeren Böen oder einsetzendem Regen oder Schneefall fliegt sie sofort laut kreischend über die Insel, bevor sie sich selbst ins Binnenland verzieht. 

   Fenna van‘t Diek gehört zur Insel wie der Strand mit seinen Muscheln, und sie selbst kann sich auch keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen. Sie ist mit den unterschiedlichsten Tieren befreundet. Manchmal wird sie deshalb sogar von den anderen Vögeln verspottet, denn zu ihren Freunden zählt auch Hinnerk im Sande, ein kleiner Wattwurm. 

   Hinnerk unterscheidet sich von den anderen Wattwürmern durch seine giftgrüne Farbe. Und das ist sein Glück, denn die meisten Vögel, von denen es Unmengen auf der Insel gibt, glauben, er sei giftig.    

   An einem Sommermorgen, es war bereits recht warm, saß die Möwe Fenna wieder einmal auf ihrem Poller und beobachtete das Wetter nach ihrem ganz eigenen Ritual. Zuerst beäugte sie den Himmel mit den Wolken, danach hob sie einen Flügel, um die Windstärke zu prüfen, anschließend betrachtete sie eingehend die Wellen. Heute schien die Sonne an einem strahlend blauen Himmel, der nur von wenigen schneeweißen Wolken bedeckt war – eben ein typisch ostfriesischer Himmel.  Die See war relativ ruhig und so beschloss Fenna, ihren Aussichtsposten zu verlassen, um ihren Freund Hinnerk im Sande zu besuchen. Außerdem konnte sie sich bei einem Flug etwas Abkühlung verschaffen. Es war noch Ebbe, und mit etwas Glück würde sie ihn schnell aufspüren.

   Der kleine Wattwurm hatte Fenna bereits entdeckt. Er lugte neugierig aus dem Watt hervor und erkannte seine Möwenfreundin sofort, denn sie war die einzige Möwe, die stets einige beachtliche Loopings drehte, bevor sie eine formvollendete Landung hinlegte. 
Hinnerk wollte gerade freudig auf sie zu kriechen, als ihm eine kleine, braune Strandkrabbe für einen kurzen Moment den Weg versperrte, um gleich darauf seitwärts davonzulaufen. Die Krabbe schien von einem anderen Planeten zu kommen, denn kein anderes Tier hatte eine so eigenartige Gangart. Dabei blubberte sie unverständliches Zeug und war mit einem Mal blitzschnell verschwunden.

   Nach dieser Störung begrüßten sich Fenna und Hinnerk wie alle Insulaner zuerst mit einem freundlichen „Moin“. Fenna begann danach, sofort über das Wetter zu jammern. Sie krächzte: „Oh Mann, is‘ das wieder heiß heut. Un morgen gibt’s bestimmt ‘n Unwetter.“ 

   „Jaja, irgend‘n Wetter gibt‘s immer“, murmelte Hinnerk kaum hörbar und grinste. Er kannte die Möwe schon sehr lange und hatte sich daran gewöhnt, dass sie eigentlich immer nur über das Wetter sprach. Sie saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander im Watt, bis sich Fenna wortlos erhob und davonflog. 

  Im Gegensatz zu der Möwe fand der Wattwurm jedes Wetter gut, denn er konnte immer nach Herzenslust im Schlick buddeln. Überhaupt war er davon überzeugt, dass er das beste Leben von allen Tieren hatte. Er mochte sogar das manchmal recht raue Klima der Nordsee und den Wechsel der Gezeiten. Zweimal täglich gab es Ebbe und Flut. Bei Ebbe wurde Hinnerk so richtig aktiv. In dieser Zeit zog er unermüdlich seine Bahnen. 

   Ab und zu legte er dabei eine Pause ein und beobachtete die Menschen, die auf dem Meeresboden laufen konnten, wenn das Wasser in Richtung Horizont verschwand. Die Menschenkinder entdeckten dabei viele Muscheln und andere Schätze, die das Meer bei dieser Gelegenheit freigab. Wenn die Flut alles überschwemmte, buddelte Hinnerk sich ein und wartete solange, bis die nächste Ebbe kam. Dann hielt er meistens einen ausgiebigen Schlaf. 

   Sein Leben war so abwechslungsreich und spannend wie die Gezeiten. Doch das sollte sich bald ändern ...